Aktuelle Rechtsprechung des BAG zu Benachteiligungen von Arbeitnehmern

  1. Massenentlassungsschutz – Benachteiligung von Personen in Elternzeit

Massenentlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen bedürfen nach Maßgabe von § 17 KSchG zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats und einer vorherigen ordnungsgemäßen Anzeige an die Agentur für Arbeit. Dieser durch § 17 KSchG gewährleistete Schutz ist europarechtlich durch die Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) determiniert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk]) ist unter „Entlassung“ die Kündigungserklärung zu verstehen.

Hiervon ausgehend hielt der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts die Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin vom 10. März 2010 für wirksam, die sich zur Zeit der wegen einer Betriebsstilllegung durchgeführten Massenentlassungen in Elternzeit befand und deren Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf des Zeitraums von 30 Kalendertagen gekündigt wurde, obwohl sich die Kündigungen der übrigen Arbeitsverhältnisse mangels einer ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats gemäß § 17 KSchG als unwirksam erwiesen hatten (BAG 25. April 2013 – 6 AZR 49/12 -).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 8. Juni 2016 – 1 BvR 3634/13 – dieses Urteil aufgehoben, weil es die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 i.V.m. Art. 6 GG verletze. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil das Abwarten der wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. In diesen Fällen gelte der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt sei.

An diese nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs bei Massenentlassungen durch das Bundesverfassungsgericht ist der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts ungeachtet der Probleme gebunden, die u.a. dann entstehen, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt wird oder wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen ist. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat deshalb nun auf die Revision der Klägerin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 10. März 2010 nicht aufgelöst worden ist.

[Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 4/17, Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. Januar 2017 – 6 AZR 442/16; Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Oktober 2011 – 17 Sa 761/11]

 

  1. Schadensersatz wegen unterbliebener Erhöhung der Wochenarbeitszeit – Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung

Der Kläger, der seit Dezember 2011 mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, ist bei der Beklagten, die einen Express-Versand und Transport-Service betreibt, in deren Station in K. als Kurier mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden beschäftigt. Im Juni 2013 verteilte die Beklagte ein Stundenvolumen von insg. 66,5 Stunden – unbefristet – an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Dabei wurden bis auf den Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl nachgesucht hatte, und einen weiteren Mitarbeiter, der erst im Januar 2013 in die Station in K. gewechselt war, sämtliche Teilzeitmitarbeiter mit Wunsch auf eine Stundenerhöhung berücksichtigt.

Mit seiner Klage hat der Kläger eine Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit unter entsprechender Vertragsänderung begehrt. In der Berufungsinstanz hat er seine Klage erweitert und zusätzlich hilfsweise einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend gemacht. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, die Beklagte habe ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht – unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen – dem Kläger Schadensersatz in Höhe des ihm entgangenen Verdienstes zugesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage nicht mit der Begründung stattgeben, es lägen Indizien i.S.v. § 22 AGG* vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen und die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur besteht, wenn Indizien vorliegen, die mit ”überwiegender Wahrscheinlichkeit” darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war und dass damit die vom Landesarbeitsgericht angenommene “Möglichkeit” einer Ursächlichkeit nicht ausreicht. Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden. Die Sache wurde deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

[Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 5/17, Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15; Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2015 – 18 Sa 520/14]

  • 22 AGG  Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Die Verfasserin, Dr. Katrin Stoye, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, steht Ihnen gerne rechtsberatend und -gestaltend bei allen Fragen auf den Gebieten Arbeitsrecht und Handelsvertreterrecht zur Verfügung sowie vertritt Sie außergerichtlich und gerichtlich.

 

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Quelle: Wirtschaftsecho