1. Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags – Sozialkassenverfahren des Baugewerbes (AVE VTV 2014)

Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 17. März 2014 ist mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 5 TVG aF* unwirksam. Zwar hat sich die zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales mit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) befasst, jedoch war die nach damaligem Rechtsstand erforderliche 50%-Quote nicht erreicht.

Auf Antrag der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF vom 3. Dezember 2013 am 17. März 2014 gemäß § 5 TVG in der damals geltenden Fassung mit bereits im Antrag enthaltenen Einschränkungen bezüglich des betrieblichen Geltungsbereichs („Große Einschränkungsklausel“) für allgemeinverbindlich erklärt (AVE VTV 2014).

Der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag regelt das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Bei den Sozialkassen des Baugewerbes (SOKA-BAU) handelt es sich um gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt – IG BAU -, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. – HDB – und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. – ZDB). Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes zusätzliche Altersversorgungsleistungen, die jeweils in gesonderten Tarifverträgen näher geregelt sind. Zur Finanzierung dieser Leistungen werden nach Maßgabe des VTV Beiträge von den Arbeitgebern erhoben. Durch die AVE gelten die Tarifverträge nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern auch für alle anderen Arbeitgeber der Branche. Sie sind hiernach zur Beitragszahlung verpflichtet. Sowohl die Arbeitgeber als auch ihre Beschäftigten erhalten Leistungen von den Sozialkassen.

Bei den Antragstellern handelt es sich überwiegend um Arbeitgeber, die nicht Mitglied einer Arbeitgebervereinigung sind und deshalb nur auf Grundlage der Allgemeinverbindlicherklärung zu Beitragszahlungen herangezogen wurden. Sie haben die Auffassung vertreten, die gesetzlichen Voraussetzungen für die AVE hätten nicht vorgelegen. Insbesondere hätten die tarifgebundenen Arbeitgeber der Baubranche nicht 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigt (50%-Quote). Auch habe kein öffentliches Interesse für die Allgemeinverbindlicherklärung vorgelegen. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen und festgestellt, dass die angegriffene Allgemeinverbindlicherklärung wirksam ist.

Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 17. März 2014 des VTV ist unwirksam. Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen handelt es sich um Normsetzung, die nach dem in Art. 20 GG verankerten Demokratieprinzip die Befassung des zuständigen Ministers für Arbeit und Soziales erfordert. Eine solche Befassung ist – anders als in dem am heutigen Tag ebenfalls entschiedenen Verfahren – 10 ABR 33/15 – betreffend die AVE VTV 2008 und die AVE VTV 2010 (vgl. Pressemitteilung Nr. 50/16) – hinsichtlich der AVE VTV 2014 durch die Ministerin Andrea Nahles erfolgt. Sie hat aufgrund des Einspruchs des Freistaats Sachsen nach § 5 Abs. 3 TVG die Zustimmung der Bundesregierung zur beabsichtigten Allgemeinverbindlicherklärung eingeholt. Jedoch gibt es keine tragfähige Grundlage für die Annahme des BMAS, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE VTV 2014 in der Baubranche mindestens 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren. Insbesondere durfte, anders als vom BMAS angenommen, die in der jeweiligen AVE vorgenommene Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs bei der Berechnung der 50%-Quote nicht berücksichtigt werden.

Die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE VTV 2014 wirkt gem. § 98 Abs.4 ArbGG für und gegen jedermann. Sie hat zur Folge, dass im maßgeblichen Zeitraum nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes bestand. Andere Arbeitgeber der Baubranche sind nicht verpflichtet, für diesen Zeitraum Beiträge zu leisten. Rechtskräftig abgeschlossene Klageverfahren über Beitragsansprüche werden von der Feststellung der Unwirksamkeit jedoch nicht berührt; eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 580 ZPO ist insoweit nicht möglich. Ob im Übrigen unter Beachtung der Verjährungsfristen wechselseitige Rückforderungsansprüche hinsichtlich erbrachter Beitrags- und Erstattungsleistungen bestehen und ob die Feststellung der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2014 einer Vollstreckung von Beitragsansprüchen aus rechtskräftigen Entscheidungen entgegensteht, hatte der Senat nicht zu entscheiden.
[Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 51/16, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 -; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. August 2015 – 6 BVL 5006/14 -]

  1. Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen – Sozialkassenverfahren des Baugewerbes (AVE VTV 2013):

Die Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 29. Mai 2013 und 25. Oktober 2013 sind mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 5 TVG aF* unwirksam. Die nach damaligem Rechtsstand erforderliche 50%-Quote war nicht erreicht. Überdies war die seinerzeit zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales nicht mit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 25. Oktober 2013 befasst.

Die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE VTV 2013 I und II wirkt gemäß § 98 Abs. 4 ArbGG für und gegen jedermann. Sie hat zur Folge, dass im maßgeblichen Zeitraum nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes bestand. Andere Arbeitgeber der Baubranche sind nicht aufgrund der AVE verpflichtet, für das Jahr 2013 Beiträge zu leisten.
[Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 03/17, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juli 2015 – 4 BVL 5004/14 und 4 BVL 5005/14 -]

 

  1. Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen – Sozialkassenverfahren des Baugewerbes (AVE VTV 2012)

Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 21. Dezember 2011 ist mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 5 TVG aF* unwirksam. Zwar hat sich der zuständige Staatssekretär mit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) befasst, jedoch war die nach damaligem Rechtsstand erforderliche 50%-Quote nicht erreicht.

Die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE VTV 2012 wirkt gemäß § 98 Abs. 4 ArbGG für und gegen jedermann. Sie hat zur Folge, dass im maßgeblichen Zeitraum nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes bestand. Andere Arbeitgeber der Baubranche sind nicht aufgrund der AVE verpflichtet, für das Jahr 2012 Beiträge zu leisten.
[Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 02/17, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 ; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 BVL 5003/14 -]

 

Praxistipp:

Sollten Sie einer der vielen Arbeitgeber sein, der aufgrund der AVE Beiträge zu Unrecht geleistet hat, setzen Sie sich gern zur Klärung und ggf. Vertretung gegenüber der SOKA-BAU mit uns in Verbindung.

 

Die Verfasserin, Dr. Katrin Stoye, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, steht Ihnen gerne rechtsberatend und -gestaltend bei allen Fragen auf den Gebieten Arbeitsrecht und Handelsvertreterrecht zur Verfügung sowie vertritt Sie außergerichtlich und gerichtlich.

 

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Homepage: www.dsp-anwaltskanzlei.de